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OPEN YOUR SYSTEMS - Bild und Bilder in der Systemischen Supervision.
 
von Felicitas Miller
 
Der Fotograf ist da. Die Familie lässt ein Porträt machen, sie scheinen sich ganz wohl zu fühlen in dieser Situation. Sie gruppieren sich für das Bild um den Flügel. Es ist klar, wo jeder seinen Platz hat: der Vater sitzt in der Mitte, die Mutter steht im Hintergrund, die Töchter dekorativ drapiert an den Seiten, der Sohn hinter dem Vater und vor der Mutter, die Jüngste ganz nah beim Vater, den Kopf an seinen Arm gelehnt und die Hand auf seinem Knie.
 
Ein schönes Bild. Eine schöne Familie.
Familie als offenes System?
 
Die Mutter der Supervisandin hat dieses Familienfoto aus den fünfziger Jahren bis zu ihrem Tod im Rahmen auf der Kommode stehen: So hatte sie sich ihre Familie gewünscht. Die Supervisandin selbst ist das jüngste Kind auf dem Bild. Sie hat dieses Foto immer als Repräsentation des Widerspruchs von Sein und Schein gesehen: hinter der bürgerlichen Fassade das Horrorkabinett.
 
 
Heute geht die Frau, das jüngste Kind, aufgrund einer beruflichen Veränderung zur Supervision. Im Verlauf der Arbeit mit der Supervisorin ist sie auf dieses Familienfoto gestoßen. Sie kennt dieses Bild ein Leben lang. Dies ist ihre Familie. Die Positionen und die Rollen, das dazugehörige Glaubenssystem, Denkmuster und Gefühlskonstanten sind in dem Bild aufbewahrt. Im Prozess der Supervision öffnet sich das System Familie. Und zwar ganz subjektiv. Sie öffnet ihr System. Sie schaut sich das Foto noch einmal an, sie schaut neu. Sie schaut von außen.Sie betrachtet das Kind. Sie sieht sowohl Offenheit als auch Vertrautheit mit dem Vater. Es ist geborgen und blickt gleichzeitig offen und neugierig in die Welt. Das ist neu. Bis jetzt hatte es nur diese eine Lebenswahrheit gegeben: den Vater als die autoritäre Charaktermaske, der die Familie knechtet. Neben diesem Bild sieht sie heute das des freundlichen Patriarchen, der dem Kind Schutz und Geborgenheit gibt, die ihm helfen, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen und sie als Chance anzunehmen.
 
 
Systeme zu öffnen, heisst hier Unterscheidungen machen zu können. Es bedeutet Vervielfältigung: Es entstehen Bilder, von einem und demselben Bild; ein Abschied von der Alleinherrschaft einer Sichtweise wird denkbar; Bilder werden auf ihre Brauchbarkeit und ihre Funktion heute hin überprüft; der Preis, den Abschied und Veränderung fordert, muss eingeschätzt werden. Der Focus wird verändert; er wandert und gibt doch nichts vom Ganzen auf, sondern verlagert nur das Gewicht: sowohl das, als auch jenes, vielleicht keines von beiden und dann noch etwas ganz Neues.
 
Die Störung und Irritation des Systems führt dazu, nach einer situativ und individuell brauchbareren Sichtweise zu suchen und eine je spezifisch sinnvolle Veränderung zu vollziehen. In der Systemischen Supervision heißt das, in jeder Biografie das eigene und besondere Potential zu sehen und die eigene Geschichte als Ressource zu nutzen, um die Herausforderungen, die sich aktuell stellen, annehmen zu können. Dies ist auch im Prozess künstlerischer Gestaltung ein dynamisches, kreatives und innovatives Potential, das frei gesetzt und entfaltet werden muss.
 
Dazu gehört es, eine vordergründig klare Deutung von Wirklichkeit zu hinterfragen, deutlich zu machen, dass der Mensch an dieser Stelle eine Unterscheidung gemacht und damit eine Entscheidung getroffen hat, die impliziert, dass alle alternativen Denk- und Handlungsmöglichkeiten zunächst ausgeschlossen erscheinen und dass die Vielschichtigkeit und Vielfalt der möglichen Sichtweisen eingeschränkt ist. Dieser Ausschluss kann Focussierung und Konzentration bedeuten. Er kann aber auch als Starrheit und Unflexibilität produktive Gestaltungsprozesse blockieren.
 
Systemische Supervision zielt darauf, eingefahrene Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsstrukturen zu unterbrechen und die Vielfalt und Komplexität menschlicher Sichtweisen wieder offen zu legen. Dies ermöglicht und erlaubt den Beteiligten die für ihre Situation brauchbaren und hilfreichen Deutungen der Wirklichkeit aufzusuchen. Dabei ist der Respekt vor der Selbstorganisation ihrer Systeme ein zentrales Moment: die Beobachtungen, die Sichtweisen, die Deutungen, die Lösungswege werden von den Aktiven auf ihrer Suche selbst gefunden und die Zielentscheidungen bleiben in ihrer Verantwortung. Das System wird darauf auf jeden Fall reagieren und sich verändern. „Draw a distinction and create a universe“ (Spencer-Brown) wie auch „Vermehre die Möglichkeiten!“ (von Förster) heisst deshalb das System offen zu halten, in welcher Form auch immer.
 
 
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